Geistlicher Impuls – 11.11.2020 – Passend für den Menschen

Geistlicher Impuls – 11.11.2020 – Passend für den Menschen

Beim Gedenken an die Pogromnacht des 9. November 1938 in der Köpenicker Laurentiuskirche, kam mir die Frage, wie weit weg ist dies alles eigentlich von uns. Es scheint unwirklich, von den Schicksalen der damaligen Opfer zu hören. Dies zeigt sich auch in der glücklichen Selbstverständlichkeit, derartiges heute eben nicht erleben zu müssen. Dennoch wiesen die Sprecherinnen mit Recht darauf hin, dass Hass auf Juden und das Judentum, der sich auch in Gewalt ausdrückt weiterhin tagesaktuell ist. Solchen Judenhass werden die meisten von uns ablehnen, sowie sie grundsätzlich Gewalt ablehnen. Hier sei gesagt, dass bei allem besorgten Nachdenken, wie es sich bei den nationalsozialistischen Verbrechen eben nicht um ferne Vergangenheit, sondern zumindest in ihrem Kern um bleibende Gefahren handelt, immer die Gefahr besteht, den nationalsozialistischen Verbrechen, durch Vergleich oder sogar Gleichsetzung, ihre grausame Einmaligkeit zu nehmen und damit Verharmlosung zu betreiben. Dies liegt mir fern, wenn ich hier mit Ihnen der Frage nachgehe, wie weit weg von uns sind solche Verbrechen, ist vernichtende Gewalt zumindest in ihren gedanklichen Grundlagen. Hinter solcher gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit, wie sie als Extremform der nationalsozialistische Judenhass darstellt, steht als Kern oder kleinster gemeinsamer Nenner die Idee unpassender Menschen. In der Vorstellung einer scheinbar perfekten Welt, werden Menschen erkannt, die dazu nicht passen. Überhaupt wird eine Welt fantasiert und diese dem Menschen dadurch übergeordnet, dass erst als zweitem Schritt und damit in eindeutiger Zweitrangigkeit, der Mensch danach bewertet wird, ob er dazu passt. So eine Welt ist für Christen eine verkehrte Welt. Schließlich erklärt uns Christus selbst, dass der Sabbat für den Menschen und nicht der Mensch für den Sabbat da ist. Aber ist solches Denken ganz weit weg von uns, weil es nach christlicher Lehre so eindeutig falsch ist?

Mein persönliches kleinstes Beispiel ist, dass ich ehrlicherweise sehr unterschiedlich auf die Menschen blicke, welche in der offenen Kirche in St. Josef vorbeischauen. Manche sind Bekannte, andere kenne ich zwar nicht persönlich, aber sie scheinen am Gebet oder zumindest der andächtigen Besichtigung eines Gotteshauses interessiert. Es gibt dann aber auch solche Menschen, bei denen ich mir denke, dass sie dort nicht reinpassen. Treffender lässt sich das Gefühl nicht beschreiben. Ein Gefühl wohlgemerkt, dass keine Begründung etwa darin hat, dass sich diese Personen in der Kirche auf eine Weise verhalten, die deren Würde als Gotteshaus verletzen würde. Schwerwiegender wird es dadurch, dass die Kirche nun einmal Regeln für die Gestaltung des Lebens kennt, Maßstäbe für richtig und falsch hat. Diese muss sie haben, da sie dem Leben der Menschen Sinn und Richtung geben will. Sie kann also solche Maßstäbe nicht aufgeben, obwohl in ihnen die Gefahr liegt, dass anhand dieser Maßstäbe Menschen als unpassend deklariert werden. Erschwerend kommt hinzu, dass zwei Gruppen von Menschen, auf die es der Nationalsozialismus abgesehen hatte, auch ihre Leidensgeschichte mit der Kirche hatten und teilweise bis heute haben, die sich darin äußert, als unpassend ausgegrenzt zu werden. Dies sind Juden und Homosexuelle. Beim kirchlichen Judenhass wird historisch vom Antijudaismus gesprochen. Dieser ist über Jahrhunderte nachweisbar. Es wäre in der historischen Betrachtung sogar eine sehr billige Ausflucht von uns Christen, bestreiten zu wollen, dass der Nationalsozialismus neben seinem eigenen Judenhass, ernten konnte, was in jahrhundertelangem kirchlichem Reden über das „verworfene“ Gottesvolk des Alten Bundes und ebenso langer Verleumdung der Juden als „Christusmörder“, gesät wurde. Sehr ähnlich verhält es sich bei homosexuellen Menschen. Wenn wir also Maßstäbe und Ansprüche an das Leben der Menschen nicht aufgeben wollen, was nicht heißt, dass diese uns unhinterfragt begleiten sollen, müssen wir zuerst fragen aus welcher Haltung wir den Anspruch formulieren. Treibt uns an einen Menschen, als unpassend auszugrenzen oder wollen wir einem Menschen um seiner Selbst willen das Richtige aufzeigen. Treibt uns also im Gegenteil die Überzeugung an, dass der von uns aufgezeigte Weg, der passende für den Menschen ist.

Ihr Daniel Tinten,
Kandidat für das Priesteramt


Bild: Johannes Simon,
In: Pfarrbriefservice.de

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